Ein Gastbeitrag von Autorin Verena Schmidt

Faszination Bären: In freier Wildbahn gefürchtet, als Kuscheltier geliebt. Autorin Verena Schmidt reist mit uns nach Westkanada, ins Land der Bären. Wo findet man diese einzigartigen Kraftprotze und was kann man tun, um brenzligen Begegnungen mit ihnen vorzubeugen und sicher in diesen wilden Weiten zu wandern?

Wo die stürmische Brandung gegen nebelige Regenwaldberge prescht, breite Sandstrände den Pazifik säumen und tausendjährige Urwaldriesen sich gen Himmel strecken, das ist Westkanada. Hier tauscht man Kuhweiden gegen die pure Wildnis und wandert unter Bären. Weder Gatter noch Gitterrost unterbrechen die wilde, weite Landschaft. Weder Zäune noch Geländer, keine Almen und verkehrsreichen Bergstraßen prägen die raue Landschaft. Hier dürfen außer den Bären auch Pumas, Wölfe und Kojoten ungestört ihrer natürlichen Lebensweise nachgehen und ziehen Touristen aus der ganzen Welt magnetisch an.

Schwarzbär auf Pirsch bei Port Alberni. Copyright: Verena Schmidt
Schwarzbär auf Pirsch bei Port Alberni. Copyright: Verena Schmidt

Im Wechsel der Jahreszeiten

Fährt man im Frühjahr durchs Land, hat man super Chancen, die wilden Tiere inmitten der Bergwelt direkt vom Highway aus zu entdecken. Wenn im Tal die Sonne das erste Grün hervorzaubert, suchen sie, noch ausgemergelt von der Winterruhe, an den sonnigen Straßenrändern fressbare Wurzelknollen, Gräser und die ersten Insekten. Im Sommer ziehen sich die majestätischen Grizzlys gern ins Hochgebirge auf die weiten Pässe zurück, wo sie nach kleinen Nagetieren, Wurzeln und anderem Getier graben. Mit Beginn der dritten Jahreszeit sammeln sich die plüschigen Landraubtiere an Böschungen, Lichtungen und vor allem an Seen und Flüssen: Hier wachsen saftige Beeren in Hülle und Fülle und sind willkommene Vitamingaben. Lachse kehren dann auch in ihre Laichgebiete zurück und liefern ihnen die notwendigen Fettreserven für die bevorstehende Winterruhe. Grundsätzlich aber kann man Meister Petz überall und zu jeder Jahreszeit begegnen, auch im Winter, wenn er seine Winterruhe mal kurz unterbricht.

An Flussufern gilt erhöhte Wachsamkeit. Copyright: Verena Schmidt
An Flussufern gilt erhöhte Wachsamkeit. Copyright: Verena Schmidt

Vom Raubtier zum Teddybären

Doch Bär ist nicht gleich Bär. In Westkanada leben schwarze, braune, zimtfarbene und weiße Bären. Die eindrucksvollsten von ihnen sind sicher die 130 bis 400 Kilogramm schweren Grizzlys, die vor allem im Inland und nur vereinzelt auf den Inseln der Westküste zu finden sind. Grizzlys ernähren sich zu 80 Prozent von Pflanzen, zu 10 Prozent von Insekten und Fisch sowie zu weiteren 10 Prozent von Kleintieren. Bären jagen und fressen in der Regel keine Menschen. Wir fallen nicht in ihr Beuteschema. Die Bilder in unseren Köpfen vom maulaufreißenden Bären sind menschengemacht und über Generationen geprägt worden. Große Wildtiere dienen dem menschlichen Ego in der Neuzeit vor allem als eines: als Trophäe.

So zog es im Jahr 1902 auch den passionierten Großwildjäger Theodore Roosevelt auf Bärenjagd in die Wildnis des Bundesstaats Mississippi. Den ganzen Tag lang jagte er mit seinem Gefolge einen Bären, der ihnen immer wieder entkam. Am Ende ergriffen seine Männer das widerspenstige Tier und machten es mit einem Schlag auf den Kopf kampfunfähig. Sie banden den müden Bären an einen Baum, damit Mr. Roosevelt ihn zu guter Letzt erlegen konnte. Doch das widersprach komplett dessen Sportsgeist, weshalb der 26. Präsident der Vereinigten Staaten dem Bären seine Freiheit zurückgab. Der Cartoonist Clifford Berryman zeichnete die Szene und veröffentlichte sie auf dem Titelblatt der Washington Post. Damit bekam Teddy Roosevelt seinen Spitznamen und die Welt die vierbeinigen Plüschtiere.

Schwarzbär auf Fischfang. Copyright: Verena Schmidt
Schwarzbär auf Fischfang. Copyright: Verena Schmidt

Der Klang der Sicherheit

Doch harmlos sind die mächtigen Fellträger trotzdem nicht. Vor allem in Schrecksituationen können sie gefährlich werden. Wenn beispielsweise Wanderer, ohne einen Mucks zu tun, nahe einem rauschenden Bach durch Buschland streifen und dabei einen Bären beim genüsslichen Naschen überraschen. Diesen Momenten gilt es vorzubeugen. Zum einen bedeutet das, wachsam und achtsam durch die westkanadischen Weiten zu wandern, zum anderen auch möglichst geräuschvoll. Am allerbesten funktioniert die menschliche Stimme, egal in welcher Tonlage. Nur Pfeiftöne sollten es nicht sein, denn das klingt nach Murmeltieren oder kleineren Nagern, also schmackhaften Beutetieren. Bärenglöckchen sind nette Souvenirs. Damit sie aber helfen, sollten sie schon die Größe von Kuhglocken haben. Ghettoblaster betäuben nur die eigenen Ohren. Man kann also trällernd bergauf und bergab gehen oder ab und an laut rufen, wie bspw. „Yo Bear!“.

Hinweisschild mit Grizzly-Mama und Cub. Copyright: Verena Schmidt
Hinweisschild mit Grizzly-Mama und Cub. Copyright: Verena Schmidt

Achtsamkeit durch Wachsamkeit

Doch worauf kann man noch achten? Zum einen auf den Boden bzw. Untergrund: Liegt vielleicht ein großer Haufen auf dem Weg, der ein klein wenig an Pferdeäpfel erinnert, nur dass die Bällchen kleiner sind? Hier kann man ruhig mit einem Stock prüfen, wie frisch der Bärenkot ist. Auch Kratzer an Bäumen oder umgegrabene Erdhaufen sind deutliche Zeichen, dass man sich im aktiv genutzten Bärenterritorium befindet. Vielleicht gleicht im weichen Erdboden auch eine Spur der Tatze eines Bären? Am besten schließt man sich hier mit anderen Wandernden zu einer Gruppe von idealerweise über vier Personen zusammen. Sicher ist sicher.

Sobald ein Bär in Sichtweite ist, gilt es dringend einen Sicherheitsabstand von über 100 Metern zu bewahren. Immer. Kein Foto auf der Welt ist das Risiko wert, außer man kennt sich aus und ist professioneller Naturfotograf. Zusätzlich sollte man sofort die Umgebung scannen: ist das Tier allein oder sind vielleicht weitere im Umkreis? Kommt never ever zwischen eine Bärenmutter und ihre Kinder! Da erwachsene Bärenmännchen junge Bären töten, um ihre eigenen Gene zu vermehren, gehen die Mütter äußerst aggressiv gegen alles und jeden vor, der ihrem Nachwuchs schaden könnte. Diese Begegnungen enden oft tragisch.

Grizzly in sicherer Entfernung am Berghang. Copyright: Verena Schmidt
Grizzly in sicherer Entfernung am Berghang. Copyright: Verena Schmidt

Leave no trace

Und damit es auch für die Großsäuger sicher bleibt, bitte alles wieder mitnehmen und nichts auf der Wanderung zurücklassen. Ich meine ganz besonders die üblichen Bananenschalen oder Kerngehäuse von Äpfeln. Bevor sie verrotten, findet sie nämlich möglicherweise ein Bär. Und dieser riecht nicht nur die Süße und wertvollen Kalorien, sondern vor allem noch etwas: uns Menschen. Wenn dieser menschliche Geruch das nächste Mal in seine Nase steigt, denkt er sofort an köstliches Essen und folgt dem Geruch – gelangt zu den Rucksackträgern – und wird damit unversehens zum „Problembären“. Die meisten dieser Geschichten enden tödlich, für das Tier. Es wird zur Gefahr für uns Menschen. Für diejenigen also, die nur kurzzeitige Gäste in seinem Zuhause sind. Eine kleine Mülltüte kann Leben retten, sofern sie nicht wie die üblichen Hundekotbeutel gefüllt und verknotet im Wald landet.

Bärenspuren am Strand. Copyright: Verena Schmidt
Bärenspuren am Strand. Copyright: Verena Schmidt

Die Pracht der Farben

Sieht man einen Bären in freier Wildbahn, stellt sich die Frage, was es denn nun für einer ist. Denn die Farbe allein verrät noch nichts. In aller Kürze und Geschwindigkeit schaut man am besten auf Nase und Rücken: Sind diese glatt wie bei einer Rutsche, ist es wahrscheinlich ein Schwarzbär; gibt es am Rücken einen „Muskel-Buckel“ und kann der Bär zwischen Nase und Stirn auf dem Knick quasi eine Brille tragen, die nicht abrutscht, ist es ein Grizzly. Auf keinen Fall den Rücken zukehren und wegrennen. Oder einen Baum hochklettern. Folgt Meister Petz, zählt er zur Art der Schwarzbären. Und auch diese können weiß sein. Wenn zwei Schwarzbären mit rezessivem Gen aufeinandertreffen, entstehen aus der Verbindung manchmal die Kermode-Bären, die in Westkanada den mystischen Namen „Geisterbären“ oder „Spirit Bears“ tragen. Besonders im Great Bear Rainforest an der westkanadischen Küste überleben sie im geschützten Raum und sind ein beliebtes Ziel für NaturfotografInnen und begeisterte Wildnis-UrlauberInnen. Die Biologie spielt mit ihren Farben wie der Wind mit den Wellen.

Und genau das ist Westkanada: Meer, Berge und die wilde, weite Landschaft. Bleiben wir achtsam und erhalten diesen wundervollen Fleck Erde in all seiner ungestümen Wildheit für die nachfolgenden Generationen, der Bären und uns Menschen.

Traumstrand auf Vancouver Island. Copyright: Verena Schmidt
Traumstrand auf Vancouver Island. Copyright: Verena Schmidt

Autorin & Buchtipps

Autorin Verena Schmidt schreibt auf ihrem Blog starliteandwild.de über die spektakulären Naturwunder Westkanadas, hält Reisevorträge und bietet Workshops zum Thema Bärenbegegnungen und Reiseplanung an. Sie berät auch bei ersten Trekkingtouren in Kanada. Für den Rother Bergverlag erkundet Verena neue Touren. Ihrer Begeisterung für Westkanada könnt ihr in ihrem Rother Wanderführer »Kanadische Rocky Mountains« nachspüren.


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Autor

Unsere Autoren schreiben nicht nur Bücher, sondern auch spannende Beiträge für den Rother Wanderglück-Blog. Vielen Dank an die besten Autoren, die es gibt! Vielen Dank, dass ihr so fleißig seid und uns hier auf unserem Wanderglück-Blog tatkräftig unterstützt!

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