Ein Gastbeitrag von Berg + Tal
Skitouren Schweiz: Unterwegs im Bedrettotal. Eiskalte Morgenluft, glitzernder Schnee und Gipfelerlebnisse, die sich tief ins Herz einprägen – die Skitour auf die Cristallina zwischen Bedrettotal und Bavonatal bietet unvergessliche Momente. Begleitet Corinne von der Schweizer Alpinschule Berg+Tal auf die zweitägige Skitour voll mit Gipfelglück, Tessiner Gastfreundschaft und einer Riesenabfahrt.
Skitouren im Bedrettotal: Eiskalte Luft und der Duft von Abenteuer
Ich spähe durch die beschlagenen Scheiben des Postautos und kann sie förmlich riechen, die kristallklare Winterluft. Die Fahrt durch das schattige Bedrettotal erinnert mich an Europas Norden. Meterhohe Schneewalme säumen die Strasse und nur ab und zu kann ich den teils gefrorenen Ticino sehen. Dem Fluss entlang erreichen wir die Stelle, ab der die Nufenenpass-Strasse im Winter gesperrt ist. Wir sind in All’Acqua. Von hier starten wir unsere zweitägige Skitour zur Cristallina auf 2912m. Es ist eiskalt. Mit klammen Fingern ziehen wir die Felle auf. Die Handgriffe sitzen. Die Vorfreude auch. Und mit Ausblick auf die Tourentage sind die Schmerzen in den Fingern rasch vergessen. Mein Blick wandert Richtung Bergspitzen und Richtung Tagesziel – die Cristallinahütte.
Von All’Acqua zur Capanna Cristallina: Sonne, Schweiss und Schoggi
In die Wintermorgenluft mischt sich in Gedanken bereits der Duft von Tessiner Polenta. Wer weiss, vielleicht bekommen wir die am Abend vorgesetzt? Doch bis zu unserem Abendessen sind es noch mindestens vier Stunden Gehzeit und 1200 Höhenmeter. Für die einen von uns verbunden mit Genuss und Freude an der Bewegung, für die anderen mit einem kleinen Kampf. Die ersten Höhenmeter noch im Schatten, fellen wir steil durch dichten Fichtenwald. Weiter oben breitet sich der intensive Duft der Lärchenhölzer aus.
Der Wald lichtet sich langsam. Mein Blick schweift über eine tiefverschneite Hochebene, während meine Gedanken zur Ovischoggi im Rucksack spazieren. Zeit für eine Pause? Ich kenne unseren Bergführer und weiss: Znüni näh im Schatten ist keine Option. Also laufe ich weiter. Und in meinem Kopf setzt sich das Lied »Znüni näh« von Stiller Has fest. Schritt für Schritt summe ich die Melodie und… Endlich! Wir erreichen ein sonniges Plätzchen, das auch dem Bergführer entspricht.
Neben dem Naschen rüsten wir um. Ich tausche Mütze gegen Stirnband, Wärmejacke gegen Fleece, Buff gegen Sonnenbrille. Sonnencrème mit Schutzfaktor 50 verteilen wir grosszügig auf Gesicht, Nacken und Hände. Weiter geht’s! Es fühlt sich an, als hätten wir die Klimazone gewechselt. Nach gefühlt jedem zehnten Schritt zieht jemand von uns ein Kleidungsstück aus. Interessant, wie sich mit der Temperatur auch die Gerüche verändern… Schritt für Schritt geniesse ich die magische Stimmung im flach ansteigenden Val Cavagnolo. Schnee und Sonne funkeln um die Wette. Das Gelände ist coupiert, geradewegs verspielt. Und das Beste: Bis auf zwei kleine Skitourengruppen erblicke ich weit und breit keine Menschenseele. Ich verfalle in einen meditativen Trott.
Der Poncione di Val Piana: Ein Skitouren-Gipfel mit Dessert-Potenzial
»Wir haben uns eine Pause verdient.« Die Stimme des Bergführers reisst mich aus der meditativen Stimmung. Ich stelle den Rucksack in den Schnee. Mit dem selbst gebackenen Bananenbrot füllen wir die Batterien wieder. Die werden wir für die Spitzkehren brauchen, die uns auf den ersten Gipfel bringen. Eine halbe Stunde später haben wir es geschafft. Wir stehen auf dem 2660 Meter hohen Poncione di Val Piana. Der Name klingt wie ein Dessert und verströmt Glücksgefühle. Genauso wie der einzigartige Blick über das Val Bedretto und die Dreitausender des Gotthardmassivs: Die Skitourengipfel Pizzo Rotondo, Pizzo Lucendro und Muttenhorn winken von der gegenüberliegenden Talseite. Ich atme die Gipfelluft ein und in mir breitet sich eine seltene Stille aus. Schön, unglaublich schön…
Capanna Cristallina: Tessiner Charme statt Hüttenmief
Nach dem Gipfelgenuss bereiten wir uns für die erste Abfahrt vor. Die Felle ziehen wir ab und die Skischuhe zu, den Helm setzen wir auf. Mit teils gesprungenen Schwüngen fahren wir den verspurten Gipfelhang ab. Und noch etwas weiter cruisen wir runter zum Ghiacciaio di Valleggia auf dem Hochplateau. Hier fellen wir nochmals auf und erreichen via Passo della Cima di Lago die Capanna Cristallina 2575m. Die 2002 neu gebaute Hütte präsentiert sich im Sonnenschein. Der Holzbau ist markant und prominent. Trotzdem schmiegt er sich ins Gelände ein. Ich stehe auf der Terrasse und blicke Richtung Gletscher des Basodino. Und ich bin überwältigt von der Ruhe und Magie der Stimmung hier oben…
Mental bereite ich mich nun aufs Einchecken in der Hütte vor. Auf Schuhgestank, stickige Mehrbettzimmer und auf enge Platzverhältnisse im Essraum. Doch meine Befürchtungen sind umsonst. Und das Massenlager? Es entpuppt sich als einfaches, hübsches Viererzimmer – wie auf unsere Gruppengrösse zugeschnitten. Ich ruhe mich etwas aus, geniesse den Blick auf den Basodino direkt aus »meinem« Bett.
Beim Abendessen stelle ich fest, dass die Hütte wider Erwarten nicht mal halb gefüllt ist. Die Stimmung in der gemütlichen Hüttenstube gleicht eher der eines Tessiner Grottos. So auch die Bewirtung und das Menü. Wir geniessen einen knackigen Salat und tatsächlich: Polenta con funghi porcini. Zum Dessert schlemmen wir ein heisses Schokoküchlein. Gut gesättigt und mit einer zufriedenen Müdigkeit schlafe ich heute Nacht tief und fest.
Cristallina-Gipfel: Spitzkehren, eine Eisplatte und kristallklare Sicht
Am zweiten Tag starten wir bereits in der Morgendämmerung. Die ersten Sonnenstrahlen hüllen die umliegenden Bergflanken in ein sanftes Rosa. Der Gipfel der Cristallina ist nunmehr 350 Höhenmeter und rund 1.5 Stunden Gehzeit entfernt. Ich atme die eiskalte Bergluft ein. Auch die letzte Müdigkeit verschwindet. Und die morgendliche Ruhe? Damit ist nichts. Denn mit dem Klirren der Harscheisen unter den Skiern queren wir einen kleinen Südhang auf glasiger Spur. Über diese erreichen wir bald den Fuss der Cristallina. In einfachen Spitzkehren gewinnen wir schnell an Höhe und erblicken bereits den Platz für das Skidepot.
Doch zuerst gilt es, die Schlüsselstelle zu überwinden. Eine Eisplatte führt über einen grösseren Absatz. Als Erste der Gruppe gehe ich wie auf Eiern Schritt für Schritt auf die Stelle zu. Hochkonzentriert und mit etwas zittriger Stimme sage ich mir: »Du kannst das, bleib ruhig.« Ich fokussiere die Spur, und ein paar Meter später entspannen sich meine Muskeln. Ich bin drüben. Und ein stolzes Lächeln breitet sich aus, als alle meiner Gruppe auf der sicheren Seite sind. Etwa 100 Meter weiter deponieren wir unsere Skier. Mit den Stöcken fest in den Händen nehmen wir die steile Spur zum Gipfel unter die Skischuhe.
Schattig und kalt präsentiert sich die 35 Grad steile Nordwestflanke der Cristallina. Umso mehr ziehe ich – oben angekommen – die warmen Sonnenstrahlen in mir auf. Was sich vor mir ausbreitet ist atemberaubend. Die Cristallina hält, was ihr Name verspricht: Kristallklarer Himmel, eine gestochen scharfe Sicht. Gegen Osten erblicke ich die Berninagruppe, gegen Westen die 4000er der Berner Alpen und gegen Südwesten die unzähligen 4000er der Walliser Alpen. Ich halte inne und atme die Energie bis in den Bauch hinunter. Jene Energie, die mir die Berge verleihen. Dankbar atme ich ein paar weitere Male. Darauf folgen Gipfelgratulationen und Gipfelfotos.
Abfahrt durchs Val Piana: Firn, Powder und Flow pur
Die Skitour ist noch lange nicht vorbei. Für den Abstieg zum Skidepot konzentrieren wir uns nochmals voll, denn es gilt nicht auszurutschen. Auch die ersten Abfahrtsmeter via Eisplatte und zurück zur Hütte verlangen einiges ab von uns. Es ist hart und rumpelt, Frühlingsverhältnisse mitten im Februar. Vorbei an der Hütte und mit einem Gegenanstieg erreichen wir schon bald den zweiten stolzen Gipfel. Den Cima di Lago auf 2832 Metern über Meer. Hier rasten wir etwas weniger lange, denn die fast 1500 Höhenmeter Abfahrt ins Bedrettotal locken. Es stehen uns drei Varianten offen, und wir wählen das Val Piana.
Die Luft erwärmt sich im Sonnenschein, und so auch die Skihänge. Je nach Hangneigung haben wir die Qual der Wahl. Auf der schattigen Seite des Val Piana geniessen wir stiebenden Powder, der uns bis ins Gesicht spritzt. Auf der anderen Seite frühlingshaften Firn. Im Flow geniessen wir gemeinsam jeden Schwung. Bevor wir die Waldgrenze erreichen, halten wir inne. Voller Adrenalin und mit einem breiten Grinsen im Gesicht blicken wir hangaufwärts. Wie das Spass gemacht hat!
Die Spuren im Schnee sprechen für sich. Wir richten unsere Blicke wieder abwärts. Die Waldabfahrt vor uns ist knackig, denn die Bäume sind eng gesteckt. Und das Gelände ist steil. Ich sammle nochmals meine Kräfte und kurve mehr oder weniger elegant um die Baumstämme. Auf den letzten Metern öffnet sich eine Lichtung und ich lasse die Skier wieder laufen. Bis ich die Strasse erreiche. Etwas wehmütig realisiere ich, dass das zweitägige Abenteuer langsam zu Ende geht. Gleichzeitig klopft Stiller Has wieder an in meinem Kopf mit der Melodie von «Znüni näh». Stimmt! Es ist Zeit zum Zvieri näh. Und Zeit, um mit der Gruppe auf die zwei traumhaften Skitourentage zu prosten.
Fazit
Eine Skitour im Bedrettotal ist mehr als ein sportliches Abenteuer – sie ist ein Fest für die Sinne. Der Duft von Lärchenholz begleitet den Aufstieg, während die Sonne den Schnee zum Funkeln bringt. Auf der Cristallina zieht die klare Bergluft tief in die Lungen, und der Blick schweift über die mächtigen Gipfel der Schweiz. Ob bei einer dampfenden Polenta in der Capanna Cristallina oder beim letzten Schwung durch glitzernden Firn: Diese Tour hinterlässt Spuren – im Schnee und im Herzen. Wer einmal hier war, weiss, wie der Winter schmeckt.
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Ski- und Snowboardtouren im Bedrettotal
Von Airolo bis zum Nufenenpass bietet das schneesichere Tal genug Platz für schöne Touren zu den zahlreichen Gipfelzielen. Den Schnee vom Norden und die Sonne vom Süden: Im Bedrettotal findet sich oft die perfekte Kombination aus den Spass bildenden Faktoren einer Skitour! Unsere einsam gelegene Unterkunft ist der ideale Ausgangspunkt für die abwechslungsreichen Touren mit schönen Abfahrten ins Tal.
Tour Soleil auf Skiern
»Grenzschlängeln« auf dem Weg vom Bedrettotal ins Binntal. Während diesen Tagen folgen wir einer Route, die uns überraschend elegant durch die Gegend führt. Über versteckte Gipfel und Pässe gelangen wir vom Bedrettotal ins Val Formazza und durch das Binntal nach Binn. Wenn wir unser verdientes Getränk nach der Tour in der Hütte mit Euro bezahlen müssen, sind wir in Italien angekommen! Übrigens: Die Tour Soleil ist ein Geheimtipp vom Berg+Tal-Gründer Jürg Haltmeier, den es gerne von Hütte zu Hütte zieht.
Schneeschuhwanderung im Bedrettotal
Genusstrip in die Tessiner Sonnenstube. Zuhinterst im Valle Bedretto finden wir eine Winterlandschaft wie aus dem Bilderbuch. Und mitten drin das Ristorante All’Acqua, wo wir Tessiner Gastfreundschaft und Kulinarik vom Feinsten geniessen. Perfekte Voraussetzungen also für ein entspanntes Schneeschuh-Wochenende.
Mit Berg+Tal auf den schönsten Wintertouren unterwegs
Mit Bergführern unterwegs – in der Schweiz und weltweit! Berg+Tal bietet persönlich und professionell geführte Alpintouren, Ausbildungen und Skitourenreisen in allen Schwierigkeitsgraden an. Die Reisen sind bestens organisiert, so dass du als Teilnehmer*in dich sorglos auf dein einzigartiges Bergerlebnis konzentrieren kannst.
Das gesamte Programm sowie weitere Infos findest du unter www.bergundtal.ch
Warm eingepackt auf Skitour
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