Ein Gastbeitrag von Der Pilger, geschrieben von Beate Steger.

Von Rottenburg am Neckar bis nach Thann im Elsass. Auf dem Jakobsweg vom Süden Deutschlands zur burgundischen Pforte. Auf malerischen Wegen geht es von Rottenburg Richtung Freiburg, weiter nach Thann im Elsass bis zur Burgundischen Pforte, die in der Antike eine strategisch wichtige Verbindung vom Rheintal ins Saônetal war. Reiseeindrücke und Bilder von Beate Steger.


Jakobswege vor der Haustür

Mein Interesse für die Jakobswege in Deutschland erwachte 2009, nachdem ich vorher den Jakobsweg in Spanien gepilgert war. Eine meiner ersten Pilgerreisen führte mich auf die Pfälzer Jakobswege vor meiner Haustür von Speyer zum Kloster Hornbach. Es dauerte nicht lange, und ich war als Pilgerin auch im Schwarzwald unterwegs. Eine Region, in der ich in meiner Kindheit mit meinen Eltern und Brüdern viele unbeschwerte Ferientage verbracht hatte und mit der ich wunderbare Erinnerungen verknüpfe.

Rottenburg am Neckar ist das Ziel des Jakobsweges, der an der Kirche St. Jakob in Rothenburg o.d.T. beginnt. Gleichzeitig ist Rottenburg auch Startpunkt des Weges, der weiter nach Thann im Elsass
führt. An diesem Punkt wird deutlich: Jakobswege sind immer miteinander verbunden wie ein großes, weites Netz. Rund um die sogenannten Hauptwege, die so von den Jakobusgesellschaften klassifiziert wurden, existieren noch Alternativen und regionale Wege. So auch auf diesem Weg, der zwischen Loßburg bis Wolfach auch mit der gelb-orangenen Muschel des Kinzigtäler Jakobswegs markiert ist.

Der Dom St. Martin in Rottenburg ist mein Startpunkt, und die schöne Jakobusstatue im Innern der Kirche winkt mir quasi zum Abschied. In Seebronn finde ich die erste Kirche, die Jakobus geweiht ist, und schon von Weitem grüßt mich das goldene „Jaköble“ als Turmspitze des Kirchturms. Jakobuskirchen und -figuren zu finden, aber auch viele andere kleine und größere Besonderheiten entlang des Weges, das fasziniert mich beim langsamen Vorankommen zu Fuß. So vieles bleibt auf der Strecke, wenn wir durch unser Leben hetzen, unbeachtet und links liegen gelassen. Gerade beim Pilgern erlebe ich das wieder ganz bewusst, die Augen und überhaupt alle Sinne zu öffnen und scheinbar Unspektakuläres und Unwichtiges wahrzunehmen.

Lass deine Augen offen sein, geschlossen deinen Mund,
und wandle still, so werden dir geheime Dinge kund.

Hermann Löns (1866 -1914), deutscher Journalist und Schriftsteller

Auf den Spuren der Vergangenheit

Alte Grenzsteine säumen meinen Weg, kleine Kapellen laden zur Besinnung ein. In der Stephanuskirche in Leinstetten fasziniert mich das Epitaph, das von einem Jakobspilger aus dem 16. Jahrhundert berichtet, der allerdings von seiner Pilgerreise nicht mehr nach Hause zurückkehrte. Im Gasthaus „Zur alten Kirche“, eine alte Wallfahrtskirche – kann ich einkehren. Kurz danach finde ich ein Sühnekreuz aus dem 15. Jahrhundert, das an einen Streit zwischen zwei Kartenspielern erinnert, der tödlich endete. Wie Perlen an einer Kette reiht sich ein Juwel ans andere, ich fühle mich zurückversetzt in alte Zeiten, als hier vielleicht auch schon Pilger unterwegs waren.

Die Kinzig begleitet mich nun als lebhafter Bach, der nur kurz zuvor entsprungen ist. So pilgere ich nun gleich auf zwei Jakobswegen, da hier parallel auch der regionale Kinzigtäler Jakobsweg verläuft. Ein Stück gehe ich auf dem Flößerpfad. Jahrhundertelang haben die Flößer die Baumstämme auf der Kinzig bis zum Rhein befördert, bevor der Transport über die Bahn erfolgte.

In Schiltach, etwas später auf meinem Weg, gibt es ein Flößermuseum, das noch mehr zu dieser spannenden Geschichte zu erzählen weiß. Immer wenn ich den Wald verlasse und durch die grünen Hügel und Wiesen komme, sehe ich Höfe mit langer Tradition. Der Vogtsmichelhof oder Jockelsbauernhof sehen aus wie aus der Zeit gefallen, aber in einem guten Zustand. Infotafeln direkt an den Höfen lassen die vergangene Zeit lebendig werden. Dann kommt Alpirsbach in den Blick, und damit sowohl das ehemalige Benediktinerkloster mit spätgotischem Kreuzgang als auch die Brauerei mit dem berühmten Brauwasser. Im Kreuzgang des Klosters, das gegen eine geringe Gebühr besichtigt werden kann, finde ich Jakobus in den Schlussstein gemeißelt. Eine ganz andere Darstellung des Apostels, dessen Grab in Santiago de Compostela den Jakobsweg überhaupt erst entstehen ließ.


Die Hirtenkinder hörten Gesang aus einer Tanne

Bei Reilinsberg passiere ich ein farbenfrohes Schild und überschreite die ehemalige Grenze vom Königreich Württemberg kommend ins Großherzogtum Baden. Nach einer Nacht in dem wunderschönen kleinen Ort Schiltach führt der Weg mich weiter nach Wolfach. Oben auf dem Berg liegt die Waldkapelle St. Jakob mit Aussicht auf die Stadt „mitten im Schwarzwald“. Auf wundersame Weise soll die Wallfahrtskapelle im Jahr 1433 zum ersten Mal entstanden sein: Hirtenkinder hörten einen Gesang, der aus einer Tanne zu kommen schien. Als man diese fällte, fand sich in ihrem Stamm ein Bildnis des Apostels Jakobus des Älteren.

Nach der Zerstörung der Kapelle und ihrem Wiederaufbau ab 1655 wurde durch die Gründung der „Bruderschaft zum heiligen Jakobus um einen guten Tod“ der Pilgerstrom geweckt und die Kapelle im ganzen süddeutschen Raum bekannt. Der Name der Bruderschaft erinnert mich an mein Gespräch mit Paul Geißendörfer, dem „Wiederbeleber“ der Jakobswege in Deutschland, der den Psalm 23 in seinen Worten auf den Jakobsweg überträgt: „Wir sind unterwegs. Unser Lebensweg hat Anfang und Ziel. Er führt zu vielen Stationen, durch das Weite, über Höhen und durch finstere Täler. Auf dem Weg gibt es keine Bleibe. Jeder Schritt bringt uns dem Ziel näher.“


Matratzenlager und Gemeinschaftsküche

Der Jakobsweg von Rottenburg a.N. nach Thann im Elsass bietet bis jetzt noch kein flächendeckendes Netz an Pilgerunterkünften, doch es gibt einige besondere Übernachtungsmöglichkeiten für die Pilgerinnen und Pilger, wie zum Beispiel im Schönstatt-Zentrum der Marienschwestern auf der Liebfrauenhöhe gleich am Anfang des Weges. In Leinstetten wurde das leer stehende Pfarrhaus für die Jakobspilger geöffnet. Matratzenlager und Gemeinschaftsküche lassen spanische Herbergsatmosphäre entstehen. Bei Halbmeil stellt die Besitzerin des Campingplatzes für die Pilgerinnen und Pilger Betten bereit. Außerdem gibt es auch einige Privatunterkünfte, manchmal auch auf den alten Bauernhöfen.

In Gutach gönne ich mir einen Ruhetag und besuche das Freilichtmuseum Vogtsbauernhöfe. Solche Museen mit erlebbarer Geschichte, die mit Händen greifbar ist, liebe ich besonders. Die alten Gebäude mir originaler Einrichtung, Gebrauchsgegenständen und Bildern ihrer Bewohner geben mir das Gefühl von Verbundenheit mit den damaligen Menschen. Ob auch Pilger unter ihnen waren, ob in ihrem alltäglichen Kampf um ein gutes Leben dafür überhaupt Raum war? Auch in Freiburg bleibe ich einen Tag länger. Die lebendige Studentenstadt mit ihren „Bächle“, die vom Fluss Dreisam gespeist werden und früher als Brauchwasser und Tränke für die Tiere genutzt wurden, durchziehen die Altstadt. Beim Umherwandern muss man besonders vorsichtig sein: Es wird erzählt, wer in ein Bächle tritt, muss in Freiburg bleiben und hier einen Ortsansässigen heiraten.


Jakobus krönt einen Pilger

Im Freiburger Münster sind einige Spuren von Jakobus zu finden, wenn nicht gerade Baugerüste die Kirche verhüllen. Ich habe Glück, zumindest im Innenraum ist einiges zu entdecken. Ich finde das Sandsteinrelief mit Jakobus, der einem Pilger die Pilgerkrone aufsetzt. Auch in einem der Chorfenster krönt Jakobus einen Pilger, und selbst an einer der Säulen kann man ihn sehen: In mittelalterlicher Pilgertracht trägt Jakobus den Pilgerhut mit Muschel, Pelerine (ärmelloser Mantel), Pilgertasche und Pilgerstab in der rechten Hand.

In Oberrimsingen, einem Stadtteil von Breisach, übernachte ich im Christophorus Jugendwerk. Nicht weit davon steht die St. Jakobus-Kapelle Grüningen, für die erstmals 1273 das Jakobus-Patrozinium erwähnt wurde, das älteste im Breisgau. Sie war jahrhundertelang viel besuchte Station auf dem Jakobsweg. Hier muss ich mich entscheiden: Nach rechts über Breisach wären es 19 Kilometer mehr, ginge dann aber über die wunderschöne Stadt Colmar und weiter über den Elsässer Jakobsweg nach Thann. Ich entscheide mich für die kürzere Variante und gehe bei Fessenheim über den Rhein nach Frankreich. Auch das gehört zum Pilgern dazu, Grenzen zu überschreiten, nicht nur im Bekannten und Gewohnten zu verharren. Wie werden die Unterkünfte im Elsass sein, wie kann ich mich verständigen?


Sich dem Neuen und Unbekannten stellen

Es funktioniert ohne Probleme. Die Menschen nahe der Grenze sprechen besser Deutsch als ich Französisch, im Notfall kann ich mich auch mit Englisch verständigen. Die Jakobspilger sind bekannt und gerne gesehen, ist doch Frankreich gleich mit vier historischen Jakobswegen gesegnet neben vielen weiteren Wegen als Zubringer zu eben diesen alten Strecken, die alle Richtung Pyrenäen und damit Spanien führen. Bei der Beschilderung in Frankreich steht oft die Kilometerangabe dabei, wie weit es bis Santiago de Compostela ist. Auf den ersten Blick lesen sich die Zahlen ernüchternd, sind es doch noch mehr als 2000 Kilometer, aber vielleicht sind sie auch deshalb aufgeführt, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Wunderschöne Ortschaften mit großartigen alten Kirchen säumen auch hier meinen Weg. Manchmal wird mir spontan eine Kirche geöffnet, damit ich den Pilgerstempel bekomme. In Thann mit dem wundervollen gotischen Münster gönne ich mir zum Abendessen eine Pizza, obwohl ich mich eigentlich der französischen Küche widmen wollte. Doch es ist eine Pizza mit Jakobsmuscheln, und was könnte besser passen als Abschluss für diese wunderschöne Pilgerreise.


Infos zum Jakobsweg „Rottenburg – Thann“

  • von Rottenburg a.N. nach Thann im Elsass sind es 224 km
  • einige günstige Unterkünfte
  • Pilgerführer direkt von den Machern des Weges

Der Pilger – Magazin für die Reise durch’s Leben

Viermal im Jahr erscheint das Magazin für alle, die sich in der modernen Welt auf den Weg zu attraktiven Plätzen und Orten oder zu sich selbst machen möchten.

Der Pilger versteht sich als Begleiter auf der Reise durch das Leben und beschäftigt sich dabei mit Themen, die uns im Laufe der Zeit begegnen und bewegen.

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Autor

Unsere Autoren schreiben nicht nur Bücher, sondern auch spannende Beiträge für den Rother Wanderglück-Blog. Vielen Dank an die besten Autoren, die es gibt! Vielen Dank, dass ihr so fleißig seid und uns hier auf unserem Wanderglück-Blog tatkräftig unterstützt!

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