Das Wetter hatte uns im Urlaub ganz woanders hingetrieben als geplant. Von der Schweiz (Vrenelisgärtli) bis nach Italien (Monviso) und Frankreich (Grande Ruine) waren wir unterwegs bis wir es schließlich doch noch zu unserem ursprünglichen Ziel schafften: Der Dent d’Hérens (4171 m). Ich wollte mich so gerne nochmal an einen Viertausender wagen!

Die Dent d’Hérens liegt an der Grenze von Italien zur Schweiz, vom Aostatal zum Wallis, und ist für einen Viertausender erstaunlich wenig besucht. Dabei ist die Aussicht von diesem stillen Nachbarn des Matterhorns überwältigend! Perfekt präsentieren sich von hier aus die wunderschönen Walliser Viertausender wie Dent Blanche (4357 m) und Matterhorn (4478 m). Allerdings muss man sich den Gipfel auch verdienen: Route über den Westgrat Schwierigkeit ZS, Fels Stellen III, Eis bis 45°, gut 1500 HM ab Hütte – puh!

Start mit Blick auf die Dent d’Hérens

Nach all dem wechselhaften Wetter sollte es endlich drei Tage Sonnenschein geben – das ist doch was! Also ging es los aus dem Valpelline – erstmal den langen Forstweg mit gefühlt tausend Ausflüglern am Stausee (Lac des Place de Moulin) entlang zum Rifugio Prarayer. Hier schon lachen uns von Weitem die Dent d’Hérens und ihre ebenso beeindruckenden Nachbarn an.

Wir dachten bei nur 800 Höhenmetern Hüttenzustieg (im Gegensatz zu knapp 1500 bei vorherigen Tour auf die Grande Ruine) brauchen wir ja nicht kleinlich sein beim Rucksack packen. Da ich wie immer Sorge habe, in der Höhe zu frieren, hatte ich warme Klamotten und einen leichten Daunenschlafsack eingesteckt. Aber das sollten wir bereuen! Der Hüttenaufstieg erwies sich als länger als gedacht und die Sonne brannte nur so runter.

Wanderung zum Rifugio Aosta – länger als gedacht

Das Tal ist wunderschön, rau aber übersäht mit Vergissmeinnicht-Teppichen. Dank Schneeschmelze kommen von links immer wieder Bäche herab, sodass wir uns wenigstens das Trinkwasser sparen können. Kurz vor Talschluss füllen wir doch auf, nicht wissend ob die Hütte Wasser hat. Im Talschluss thront beeindruckend ein Gletscherabbruch über den Felswänden, durch die sich ein Wasserfall hinunterstürzt. Die ganze geballte (auch zerstörerische) Macht der Natur macht mich immer wieder auf seltsame Weise glücklich.

Zum Schluss müssen wir noch einmal alle Kräfte mobilisieren. Die Markierungen gehen mitten in eine steile bröselige Moränenflanke hinein. Pfadspuren verlieren sich, jeder sucht hier wohl den besten Weg – aber es gibt keinen „besten“, sie sind alle Mist ;-). Also der deutlichsten Spur folgend im sandigen Bruch irgendwie rauf – oben kann es ja nur besser werden. Und so ist es auch: Auf dem Moränenrücken führt ein guter Pfad zur Hütte (allerdings mit nochmal einem gemeinen Schlussanstieg). Nach guten 4:30 Stunden sind wir da. Mein Freund erkundet noch die Route für morgen, damit wir im Dunkeln nicht suchen müssen, aber sie erweist sich als eindeutig.

Rifugio Aosta (2788 m) – Willkommen im Génépi-Himmel

Das Rifugio Aosta liegt mitten zwischen Felsen und Gletscherbrüchen auf einem plötzlich grünen Fleck Wiese. Kein Wunder: Hüttenwirt Diego sprengt regelmäßig den „Rasen“. Von weit oben hat er einen Schlauch gelegt und es gibt fließend Wasser vor der Hütte. Wieder ein Kilo (Liter) umsonst geschleppt! Der Hang unterhalb der Hütte ist mit wunderschönen Blumen übersäht. Hier entdecken wir das erste Mal wildes Edelweiß!

Die Atmosphäre ist auch hier unglaublich entspannt. Wenig Leute, ein-zwei Zweierseilschaften und eine Schweizer SAC-Gruppe mit Bergführer. Man kommt gleich ins Gespräch, irgendwann taucht auch Diego auf, von dem man erst später erfährt, dass er der Wirt ist – spätestens wenn er einem den obligatorischen Génépi einschenkt. Und das wird ab dem ersten Willkommen noch häufiger passieren ;-).

Früher Aufbruch zur Dent d’Hérens

2:30 Uhr Frühstück. Und das, wo wir doch gefühlt eben erst zu Abend gegessen haben! Wir schaffen mit Mühe eine Scheibe Brot und dann geht es kurz nach 3:00 los, im Stockdunkeln, denn es ist entgegen der Vorhersage bewölkt. Wir dachten schon wieder: „Diese Westalpen-Spinner: Immer mitten in der Nacht los und dann im Dunkeln über die Felsen stolpern“ Aber wir wurden – zumindest auf dieser Tour – eines Besseren belehrt: 7 Stunden bis zum Gipfel, da ist es dann doch nicht schlecht so früh aufgebrochen zu sein ;-).

Alle etwa gleich schnell sind wir zusammen mit den Schweizern und einem jungen Pärchen unterwegs. Als wir am Gletscher anseilen beginnt es zu Regnen. Was soll denn das?!? Etwas unmutig stapfen wir den zunächst flachen Gletscher entlang bis es am Gletscherbruch steiler wird und wir im Bogen die Spaltenzone möglichst von rechts nach links querend überwinden. Da es wegen der Wolken nicht durchgefroren hat, ist der Schnee weich, aber es hält noch alles.

Zustieg zum Westgrat

Wir kommen zügig voran und erreichen alle noch im Halbdunkel die Einstiegsstelle zum Grat. Wir fühlen uns zunächst bestätigt, dass es doch ein zu früher Aufbruch war. Aber dann müssen wir eh warten, bis die anderen die arg steinschlaggefährdete Sandrinne durchgestiegen sind. So wird es hell – und die Wolken haben sich verzogen! Die Rinne ist gut mit Ketten gesichert, an denen man sich hochziehen muss, denn die Füße finden in dem Brösel kaum Halt. Auf dem Joch angekommen eröffnet sich uns eine gigantische Sicht ins Wallis. Die Dent Blanche erstrahlt im rosa Morgenlicht, die Eisbrüche in der Nordflanke der Dent d’Hérens sind imposant aus der Nähe – berauschend! Wir lassen alle vor, um in Ruhe zu genießen und beginnen dann die Gratkletterei.

Aufstieg über den Westgrat (aktueller Normalweg)

Obwohl die Felsen fast eisfrei sind, ist der Grat für mich absolute Obergrenze. Mit der Ausgesetztheit kommen meine Nerven auf Dauer nur schwer klar. Daher nimmt mich mein Freund ans kurze Seil und sichert mich an schwierigeren Stellen. Über Türmchen geht es in II-IIIer-Kletterei dahin – und zwar sehr lange. Die Höhe macht uns dank der Akklimatisierung der letzten Wochen nichts aus, und so bleibt als Schwierigkeit „nur“ die dauerhafte Konzentration.

Nach dem Felsgrat heißt es wieder Steigeisen an und ca. 300 Höhenmeter eine steile Firnflanke hinauf. Hier gibt es schon fast Blankeis und ich muss meinen Freund bitten, eine Eisschraube zu setzen. Ungesichert fühle ich mich zu wackelig in den Fußgelenken. Mein Freund hat etwas Sorge, ob wir mit der ganzen Sicherei zu langsam sind (wir müssen den Grat ja auch wieder runtersichern). Wie gern wäre er flüssig frei den ganzen Grat und Firn da hochgestiefelt. Aber so ist das, wenn man ab und zu gemeinsam auch mal ein schweres Ziel versuchen will: Wir müssen uns beide zusammenreißen – als Paar am Berg mit äußerst unterschiedlichem Niveau (und mir als Angsthasen) ist das ja keine Seltenheit ;-).

Die letzten Meter zum Gipfel

Nach kurzem Durchschnaufen bekommen wir es gut hin und kommen gut weiter. Wieder flachere Felsen mit viel Schutt und teilweise Schnee und Eis werden durch Sicherungsstangen entschärft, die wir auch gerne nutzen. Die Schweizer sind auch noch nicht so viel weiter, das macht mir Mut. Als wir den letzten Gipfelgrat erreichen ist mein Durchhaltevermögen am Ende, aber mein Freund motiviert mich noch die letzten Meter über einfacheres Gelände und Firn bis zum Gipfel.

Die Belohnung: eine unbeschreibliche Aussicht! Wir sind alleine am Gipfel, vor uns direkt das Matterhorn mystisch von Wolken umwabert. Der Tiefblick die steile Nordseite hinunter und gegenüber die wunderschöne Dent Blanche, die weiße Tête de Valpelline und all die vielen Viertausender. Sagenhaft!

Abstieg von der Dent d’Hérens

Obwohl wir für den Abstieg dieselbe Route wie im Aufstieg wählen (zum alten „Normalweg“ siehe Anm. unten), geht es zurück doch zügiger als befürchtet. In ca. weiteren 4-5 Stunden erreichen wir die Hütte. Allerdings ist der Schnee schon sehr weich, die Spalten zum Teil halb offen und es gibt mehr blanke Stellen. Mit Vorsicht aber ist alles gut zu meistern. An der Hütte angekommen brauche ich definitiv einen Génépi!

Der Abend auf der Hütte wird entsprechend lustig, u.a. mit ein paar jungen Wanderern, von denen einer noch nie im Hochgebirge der Alpen unterwegs war. Er hatte ein Hotel erwartet, war mit Reisetasche hochgewandert – mein voller Respekt! – und wurde bei der Frage nach der Dusche mit dem Schlauch vor der Hütte bekannt gemacht. Auch für ihn sicher ein besonderes Erlebnis in seinem Leben – hier oben bekommt jeder sein persönliches Highlight ;-).

Mein zweiter Viertausender – Fazit

Ich bin überwältigt. Kaum hätte ich gedacht, dass ich es wirklich auf die Dent d’Hérens schaffe. Ich fühle mich unendlich dankbar, das erleben zu dürfen – diese imposante Landschaft so aus der Nähe, diese Mächtigkeit der Natur geben mir ein Gefühl von Frieden. Alles Menschliche erscheint dagegen so belanglos. Schön war es auch, einen solchen Gipfel mit meinem Freund teilen zu dürfen. Ich bin ihm dankbar für all seine Geduld.

Die Dent d’Hérens ist ein grandioser Viertausender, nicht überlaufen, schön still, direkt neben dem Matterhorn. Ein schöner Grat, der allen, die im II-IIIer Gelände sicher unterwegs sind und denen lange Ausgesetztheit auf Dauer nichts ausmacht, große Freude bereitet.

Der alte Normalweg die Südflanke runter ist nur noch ganz im Frühsommer wenn überhaupt möglich. Es gibt aber wohl auch eine brauchbare Abseilpiste (60 m Seil nötig).

Weitere Hochtouren

Ein Tipp vorweg: Wir waren zu erschöpft, um am nächsten Tag nochmal loszuziehen, aber die benachbarte Tête de Valpelline als leichterer Einstiegsberg vom Rifugio Aosta wäre sicher eine Besteigung vorher/nachher wert.

Für uns war die Dent d’Hérens der krönende Abschluss eines irre abwechslungsreichen Hochtouren-Urlaubs. Nach dem Vrenelisgärtli in der Schweiz hatte uns das Wetter zuvor erst zum Monviso im Piemont und dann in die Dauphiné nach Frankreich verschlagen. Nach den zwei Urlaubswochen fühlen wir uns bereichert wie nie, denn wir haben – ungeplant – ganz unterschiedliche Bergregionen kennengelernt. Neugierig? Hier kannst du mehr lesen:

Wenn du luftige Gratklettereien und hohe Berge liebst, sind die Himmelsleitern für dich eine tolle Inspirationsquelle. Konkrete Tourentipps und genaue Wegbeschreibungen zu allen bekannten Hochtouren ebenso wie stilleren Routen findest du in den Rother Selection Bänden Hochtouren Ostalpen, Westalpen Band 1 und Westalpen Band 2. Von leicht bis schwer kann man sich hier in seiner eigenen Bergsteigerkarriere „hocharbeiten“, die Auswahl ist reichlich. Und wie ich finde: Die Qual lohnt sich immer wieder. 😉

Ich wünsche euch allen ebenso tolle, erfüllende Erlebnisse am Berg!
Eure Gesine, aus dem Rother Marketing

Autor

Gesine ist im Rother Bergverlag für das Marketing zuständig. In ihrer Freizeit ist sie leidenschaftlich in den Bergen unterwegs – am liebsten auf Hochtour oder in leichtem Kraxlgelände. Dabei mag sie es gern einsam und auch mal weglos; Winterräume und Zelt sind ihr lieber als Komfort-Hütten. Was nicht heißt, dass sie einem großen Stück Kuchen oder leckeren Schnitzel nach der Tour abgeneigt ist ;-). Und wenn es für einen Gipfel auch noch ins geliebte Italien geht, umso besser!

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